Purpose! Pur oder Pose?
Es ist wie Pokémon-Go für Erwachsene: Vorstände und Geschäftsführer, Kommunikationsprofis und HR-Manager – alle suchen ihr WHY. Dabei starren viele auf ihre eigen kleine Welt wie die Jugendlichen auf das Display ihres Smartphones. Wo ist er nur, wie fang ich ihn ein und wie laufe ich schnell weiter zum nächsten To-Do.
Die Suche nach dem Sinn ist natürlich sinnvoll. Sehr sogar. Keine Frage. Auf dem Weg dorthin passiert allerdings auch Unsinn. Der richtige Purpose ist „pur“, er wirkt wie ein Magnet, hat das Zeug zu Unternehmenstransformation und Mitarbeiterbindung. Der halbrichtige Purpose wirkt oft nur wie eine „Pose“, er plätschert dahin, reißt niemanden mit.
Menschen können sich an einer „Pose“ schlecht ausrichten. Oft fehlt dadurch auch der Unternehmensstrategie die klare Richtung. Trotzdem passiert es immer wieder. Das Ergebnis eines (oft sehr teuren) Positionierungs-Prozesses ist.
- a. zu umfangreich
- b. zu generisch
- c. ohne Anspruch auf „richtige“ Transformation
a. Zu umfangreich: Begriffswolken lenken vom Wesentlichen ab
Früher gab es ein Leitbild und eine Vision. Basta. Dann kamen Mission-Statement, Golden Circle, Arbeitgeberversprechen, Driving Values und Purpose hinzu. Wird es dadurch besser, klarer, einfacher? Nein, ganz im Gegenteil. Ein Mehr an Positionierungs-Statements macht Organisationen nicht schärfer. Je mehr Text, desto größer die Gefahr der Verwässerung. Und desto komplizierter für die Mitarbeitenden, die sich fragen: Womit soll ich mich identifizieren? Und was genau im Alltag in meinem Verhalten umsetzen?
Abbildung 1 zeigt den Bubble-Tanz, mit dem man sich viele Unternehmen herumschlagen. Diese Begriffswolken im Management-Sprech suggerieren, dass man als modernes, agiles Unternehmen zu jedem einzelnen auch etwas sagen muss.
Aber, es geht nicht um Masse, es geht auch nicht um semi-wissenschaftliche Definitionen und Abgrenzungen, sondern – wie das mein Kollege Axel Ebert so toll formuliert hat – um Nachdenking. Alles andere macht in der Praxis wenig Sinn. Verkommt quasi zur Pose: Man will mehr darstellen als man eigentlich zu sagen hat.
Greift man mutig in diesen Bubble-Brei, vereinfachen sich die Dinge schnell. Viele der Begriffe lassen sich zusammenfassen und auf das einfache Dreigestirn Purpose, Marke, Vision bringen (siehe Abb. 2) – kombiniert mit den Gedanken von Simon Sinek heißt das pragmatisch:
- Das WHY entspricht dem Purpose oder der Mission: Warum machen wir, was wir täglich tun. Was ist unser Daseinszweck?
- Das HOW drückt sich in der Marke und den Markenwerten aus: Wie mache wir es, mit welchen Driving Values? Wie schließt unsere Marke und unser Markenverhalten den Gap zwischen Purpose/Daseinszweck und der Vision?
- Das WOW (ein Begriff den identifire prägt) drückt die Vision aus:Worauf zahlt unser Handeln langfristig ein – was wollen wir am Ende des Regenbogens in 5, 10, 20 Jahren erreichen?
Diese Vereinfachung kann von Führungskräften kommuniziert und von Mitarbeitenden gelebt werden. Allerdings: Eine einprägsame Struktur allein reicht nicht. Für welche Inhalte lohnt es sich zu arbeiten, vielleicht auch zu kämpfen?
b. Zu generisch: Wider das Leitbild-Deutsch
Mission: Täglich transformieren wir Innovation in Customer Experience.
Vision: Wir streben die höchste Weiterempfehlungsrate in der Branche an.
Gibt es irgendein Unternehmen auf der Welt, dass diese beiden Dinge nicht voll unterschreiben würde? Sind diese beiden Statements nicht selbstverständlich, wenn man am Markt erfolgreich agieren will? Wo ist hier die Zugkraft, die Mitarbeitende zu Höchstleistungen motiviert oder sie zumindest an das Unternehmen bindet?
Nicht nur die Millennials, sondern auch abgeklärteren Semester jenseits der 40 wollen im Business-Alltag zunehmend einen Betrag leisten: entweder zu einem gesellschaftlichen Schlüsselproblem wie Entsolidarisierung, Vereinsamung, Älterwerdende Gesellschaft oder – noch globaler aufgehängt – zu den SDG – den von der UNO beschlossenen Sustainable Development Goals, die das Überleben dieses Planeten sicherstellen sollen.
Safaricom mit seiner Mobile-banking-Tochter m-pesa ist der erste afrikanische Weltmarkführer. Als Telekommunikationsunternehmen hätte man vor 10 Jahren als die Erfolgsgeschichte von m-pesa begann, auch sagen können: Täglich transformieren wir Innovation in Customer Experience. Und: Wir wollen die besten in Ostafrika sein.
Haben sie aber nicht. Sie sagten und sagen immer noch: “We exist to Transform Lives“ und „Leave no one behind“. Ihr Handy-Bezahlsystem hat praktisch jeden erwachsenen Kenianer ins Geldsystem geholt. Menschen, die aufgrund ihrer Einkommenssituation nie ein Bankkonto bekommen hätten, nehmen heute offiziell am Wirtschaftsleben teil. Ihr m-pesa Konto ist Sparbuch, Kreditkarte, Girokonto. Die damit dokumentierte Zahlungsmoral entscheidet über etwaige Kredite. Banken sind aus dem Spiel. 45 % des Bruttoinlandsproduktes werden über m-pesa jährlich abgewickelt.
Man muss nicht bis Nairobi gehen: Delacon in Steyregg hat als Weltmarkführer bei phytogenen Futterzusatzstoffen das gleiche Anspruchsniveau. Natürlich transferieren sie täglich Innovation in Kundenerfahrung und wollen die besten in ihrem Feld sein, aber die Karotten für die Mitarbeitenden heißen: “Make the most effective phytogenic solutions for health and nutrition available to all“ und „Unlocking the plant universe for better lives“. Sie setzen die Gesundheit und ein besseres Leben für Mensch und Tier in die Mission und wollen durch ihre Forschung die Kraft des Pflanzenuniversum allen Lebewesen zugänglich machen. Lesen Sie den Unterschied? Spüren Sie, was ich meine? Das eine ist eine gefällige „Pose“ – das andere ist „purer“ Wille, etwas Neues zu erschaffen.
c. Ohne Anspruch auf „richtige“ Transformation
Unter Transformation wird heute vielerorts Digitalisierung verstanden. Kein Wunder, denn diese Herausforderung ist für viele Branchen existentiell. Und weil das alles so anstrengend ist, verliert man häufig den Blick auf das Wesentliche. Nämlich auf das, was wirklich ansteht: Die Transformation der Geschäftsmodelle (vgl. dazu Abb. 4). Die Digitalisierung ist dabei nur Mittel zum Zweck.
Früher hat es gereicht Geld zu verdienen und wenn man genug davon hatte, konnte man überlegen, was man wofür spendet. Als Privatperson wie als Unternehmer. Dann wurde es en vogue CSR Abteilungen zu gründen und sich da und dort ein Deckmäntelchen für das Dreckmäntelchen umzuhängen. Oder auch ganz einfach Wiedergutmachung zu leisten, z. B. mit CO2 Kompensation.
Der nächste Schritt ist das Geschäftsmodell gleich so zu wählen, dass es planetenverträglich und enkelfähig ist – und den vollziehen in aller Welt mehr und mehr Social Enterprises. Natürlich entstehen bei solchen Unternehmen die attraktivsten WHYs. Hier ist der Purpose „pur“ und die Identifikation einfach. Entweder man mag die Idee oder man schließt sie und damit den Arbeitgeber für sich aus.
Tipps für einen erfolgreichen Positionierungs-Prozess
Niemand ist so naiv zu glauben, dass alle Unternehmen in den nächsten 5 Jahren nachhaltige Business Modelle etablieren. Klar ist aber auch, dass man heute diese Dinge ansprechen kann ohne in ein grünes Fundi-Eck gestellt zu werden. Die Auswirkungen des Klimawandels sind so spürbar, dass die Idee des zukunftsfähigen Wirtschaftens in der Mitte der globalen Gesellschaft angekommen ist. Diese Tatsache kann man sich beim Nachdenken zu Nutze machen. Denn nachdenken, wo man als Unternehmen steht und was die nächsten Schritte sind, muss man als Organisation sowieso immer wieder.
In diesem Sinne ein paar Leitfragen, um einen sinnstiftenden Level bei Positionierungs-Prozessen zu erreichen.
- Unternehmen als Movement: Was würde unser Gründer, unsere Gründerin heute als die größte Notwendigkeit sehen? Welche Missstände oder Herausforderungen würden sie angehen wollen?
- 3-Arbeiter-3-Ebenen-Übung: Ein Journalist kommt bei einer Baustelle vorbei, fragt den 1. Arbeiter nach seiner Tätigkeit und dieser antwortet: Ich trage Ziegel. Kurze Zeit später fragt er einen weiteren Arbeiter: Ich mauere eine Wand – ist dessen Antwort. Etwas später stellt er nochmals die gleiche Frage: Der dritte Arbeiter antwortet, dass er an einer Kathedrale mit baut. Was ist Ihr Ziegel, Ihre Wand, Ihre Kathedrale – woran bauen Sie?
- Sustainable Development Goals: Nehmen Sie die SDG der UNO zur Hand und überlegen Sie für welche dieser Ziele Ihr Unternehmen, Ihre Organisation einen substantiellen Beitrag leisten kann. Vernetzten Sie in der Folge Ihr Kennzahlensystem mit den ausgewählten Zielen.
- Special Blend: Wählen Sie eine gesunde Mischung aus Einbindung von Mitarbeitenden und tatkräftiger, kleiner Entscheidungsgruppe. Vermeiden Sie, dass Ihr Purpose der kleinste gemeinsame Nenner aller Bedenkenträger wird.
- Interaktiv & schlank: Organisieren Sie den Prozess so, dass er denen, die ihn tragen Spaß und Freude bereitet. Dort wo es Expertenmeinungen gibt: einholen, vergleichen, Quintessenz ziehen und weitergehen. Dort wo Kreativität gefragt ist: positiv verhaltensauffällige Kolleginnen und Kollegen einbinden, breit denken und dann gekonnt fokussieren. Klar und transparent entscheiden, welche Ideen rausfallen und welche in die Endauswahl kommen.
- Nicht ohne das Top-Management denken: Sorgen sie dafür, dass das Top-Management im Raum ist. Es ist zunehmend uncool, wenn Projektgruppen Empfehlungen erarbeiten und die Geschäftsführung losgelöst von der Energie und Diskussion der Gruppe im Nachhinein entscheidet. „Pur“ geht nur, wenn ArbeiterInnen und EntscheiderInnen an der gleichen Kathedrale bauen.
Probieren Sie es aus, ich freu mich auf einen Erfahrungsaustausch dazu! Gerne an karin.krobath@identifire.at
Dr. Karin Krobath ist seit 2004 Partnerin von identifire® und wortwelt®. Sie positioniert Unternehmen und entwickelt sie durch die Kraft der Marke. Arbeitsfelder sind Employer Branding, Corporate Culture, Innovations- und Sprachkultur. Sie organisiert Learning Journeys ins digitale Afrika und hat als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende von Light for the World die globalen Herausforderungen im Blick, die neue Formen des Wirtschaftens und der Zusammenarbeit fordern.